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KI in der Bildung: eine Analyse

KI – der Hype nervt gewaltig. Und wie bei jedem Hype wird zu viel versprochen und zu wenig gehalten – oder doch nicht? KI in der Schule und Hochschule? Gibt es dazu nicht inzwischen dutzende Stellungnahmen, Diskussionen, Posts bei LinkedIn etc.? Und kann man überhaupt etwas dazu schreiben, das nicht morgen schon wieder veraltet ist?

Beginnen wir mal mit (m)einer persönlichen Geschichte. Als ich im Dezember 2022 in einem Kurs zum Thema 'Medienökonomie' an meiner Hochschule das gerade vorgestellte ChatGPT besprach – mit direktem Bezug zum Inhalt des Kurses, nämlich dass diverse Wertschöpfungsmodelle im Bereich der Medienökonomie durch Technologien wie ChatGPT vor einer kompletten Disruption stehen –, schauten mich meine Studierenden entweder be- oder entgeistert an. Zum einen, weil ich gerade diverse Lehrbuchinhalte für komplett obsolet erklärt hatte, aber auch, weil ich damit die Arbeits- und Studienweise meiner Studierenden vielleicht revolutioniert – zumindest aber massiv verändert hatte.

Und es dauerte nur wenige Tage, bis mein KI-Frevel die Runde im Kollegium machte und man neben wissenschaftlicher Neugier und Technologieoffenheit doch auch die nackte Angst spüren konnte bis hin zum lauten Schreien nach Verboten.

KI, das wissen wir inzwischen alle, ist eine Disruption, die schnell kam und massiv wirkt. Diese Disruption traf und trifft auf Institutionen unserer Bildung – Schulen und Hochschulen – die wie alle Institutionen auf Stabilität ausgerichtet sind und damit an einem strukturellen Grundproblem leiden: Wie begegne ich den Herausforderungen von immer neuen Entwicklungen? Wie bereite ich Menschen auf die Welt und ihre Entwicklungen vor? Wie qualifiziere ich für ein Leben?

 

Die Freude am Lernen neu entdecken 

 

Meine persönliche Erfahrung von einer Schulzeit in den 80ern und 90ern in der man teilweise noch mit Schulbüchern aus den 70ern "beschult" wurde, in denen Dinge gelehrt wurden, die ein Blick aus dem Fenster des Schulgebäudes bereits ad absurdum führte, ist sicherlich eine Erfahrung, die strukturell bereits Generationen vor mir und nach mir genauso gemacht haben und gerade wieder machen: Schulen – und in einem gewissen Maße Hochschulen – sind Orte der Verabredung und Konsolidierung von Wissen und Kompetenzen, von ewig abgestimmten und politisch verabschiedeten Lehrplänen, Prüfungsorten und – formen. Orte an denen verzweifelt versucht wird konsolidiert etwas Klares zu vermitteln in einer Welt in der eben dies mehr und mehr abhandenkommt: Klarheit und Dauer.

In einer Welt in der Inhalte einfach(st) von KI generiert werden, stehen die Schulen und Hochschulen natürlich vor einem Problem. Wenn mein 13jähriger Neffe längst weiß, dass man mit Wikipedia + ChatGPT längst Referate erstellen kann, OHNE die Nase in Bücher zu stecken oder Stunden für intensive Online-Recherche und die nachfolgende Strukturierung des Stoffes zu stecken und damit Bestnoten erzielt, dann beweist dies vor allem, dass die Prüfungsform ihren Sinn verloren hat und wahrscheinlich auch, dass seine Lehrer selbst eines komplett vergessen haben: Lernen!

 

„KI, das wissen wir inzwischen alle, ist eine Disruption, die schnell kam und massiv wirkt. Diese Disruption traf und trifft auf Institutionen unserer Bildung – Schulen und Hochschulen – die wie alle Institutionen auf Stabilität ausgerichtet sind und damit an einem strukturellen Grundproblem leiden: Wie begegne ich den Herausforderungen von immer neuen Entwicklungen?“

Jan Claas van Treeck

Welchen Auftrag hat Schule eigentlich?

 

Der unglaublich produktive Punkt an der angeblichen "Bedrohung" unserer schulischen Systeme durch KI ist nämlich die Rückbesinnung darauf, was Schule und Hochschule eigentlich sein sollte – ein Ort des Lernens, Denkens, Reflektierens. Und gerade weil im Angesicht der KI das Spielfeld zwischen Lehrenden und Lernenden eingebnet wurde, heißt das nun endlich, dass die Lehrenden von ihren Rössern heruntersteigen müssen, um selbst wieder die Freude am Lernen zu erlernen und diese dann auch wieder zu Lehren. KI ist also hoffentlich der Schock, den unser Bildungssystem brauchte, um wieder einmal im Jetzt anzukommen, um nicht in teilweise beklagenswerter Obsoleszenz zu verkümmern.

 

Das was der Umgang mit KI erfordert ist nämlich das Lernen von echten stabilen Fähigkeiten, wie kritisches Denkvermögen, Übertragungsfähigkeit, Ambiguitätstoleranz, Diskussionsfähigkeit, Lernvermögen, kritischer Umgang mit Quellen und Informationen.

Dazu bräuchte es allerdings endlich eine Debatte über Bildung, die wir als Gesellschaft anscheinend nicht führen wollen oder auch leider gerade nicht führen können. Inmitten einer Bildungskrise, die wir vor allem mit "mehr vom Alten" also einfach dem Anheuern von mehr Lehrkräften begegnen wollen, müssten wir also bereits eine zusätzliche Strukturdebatte zu führen.

 

Und für alle Lehrenden, die jetzt das beklagen, dass so etwas wie umfassende humanistische Bildung den Metaskills zum Fraß vorgeworfen werden, sei zu Versöhnung gesagt: Erst ein profundes Wissen über Kunstgeschichte, Filmtechnik und -geschichte bringt bei der Bilderzeugung etwa mit Midjourney die Resultate, die überragend und eben nicht langweilig sind! Und wer es schafft mit Studierenden herauszuarbeiten, weshalb ChatGPT Denkfehler in Theorien von Martin Heidegger nicht aufzudecken vermag, der hat eben nicht nur etwas über Heidegger gelehrt und die Funktionsweise von LLMs, sondern konnte auch noch in kritisches Lesen und Denken einführen.

Aber dazu braucht es den Willen jetzt auch wieder als Institution und Lehrende lernen zu wollen und die Bereitschaft zu radikalen Reformen! Aber machen wir uns nichts vor: Dies bräuchte es schon lange – denn das Abnicken von öden stereotypten Referaten war auch schon vor ChatGPT Co. nicht was Lehrende und Lernende weitergebracht hätte.

Über den Autor

Dr. Jan Claas van Treeck ist Medienwissenschaftler und Professor für digitale Transformation und Medien an der Hochschule Fresenius Hamburg. Der KI- Experte befasst sich mit den medienkulturellen Erscheinungen unserer Zeit und ihre Auswirkungen auf gesellschaftliche Aspekte und Herausforderungen. Unter anderem ist er auch im Podcast @zerteiltezukünfte zu hören.